Über den Wert der Reparatur und diese Kampagne
Die Kampagne „Wert der Reparatur“ verdeutlicht anschaulich, welche Rolle die Reparatur in unserer Gesellschaft spielt. Damit stellt sie gleichzeitig dar, warum reparaturfördernde Maßnahmen und die Umsetzung eines universellen Recht auf Reparatur notwendig sind, um nachhaltiger mit unseren Ressourcen umzugehen und das Potential der Reparatur für lokale Wirtschaftsförderung, die Schaffung sozialer Räume und der Förderung technischer Mündigkeit in der Gesellschaft zu nutzen.Die Beiträge auf dieser Webseite stammen größtenteils von Mitgliedern des Netzwerks Runder Tisch Reparatur. Der Runde Tisch Reparatur vereint viele verschiedene Akteure aus Handwerk, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft, die sich für ein Recht auf Reparatur einsetzen. Die Diversität der verschiedenen Beiträge und Akteure macht deutlich: Das Reparieren berührt und begegnet uns im Alltag auf vielfältige Weise, manchmal unbemerkt, manchmal sehr sichtbar, manchmal voller Frustration und manchmal voller Stolz. Es wird außerdem klar, dass die Reparatur ein wichtiger und oft unterschätzter Bestandteil unserer Wirtschaft ist und vieles zusammenhält.
> Mehr über den Runden Tisch Reparatur erfahrenDas Reparaturcafé ist eine zivilgesellschaftliche Notwehr-Reaktion auf Markt- und Staatsversagen. Es ist ein Ort, an dem ich Selbstwirksamkeit erfahren und Marktlogiken aushebeln kann und sollte als Korrektiv und Leitplanke für Politik und Wirtschaft dienen.
Während die Notwendigkeit, Möglichkeiten und Grenzen, Inhalte, Ausgestaltung und Reichweite eines Rechts auf Reparatur von unterschiedlichsten Stakeholdern aus Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft, Industrie und Handel, Politik, Verwaltung und NGOs vielstimmig und kontrovers diskutiert und verhandelt wird, nehmen sich Menschen in zivilgesellschaftlich erzeugten Gelegenheitsstrukturen ein solches Recht bereits und üben es aus und ein. Sie kümmern sich selbst gemeinschaftlich um ihre Reparaturbelange, statt abzuwarten, ob und wie diese Bedürfnisse von Markt und Staat aufgegriffen, beurteilt und geregelt werden. Diese Interessengruppe sind jene Bürgerinnen und Bürger, die als Konsument*innen und Verbraucher*innen oft nur als aggregierte Größe und abstrahierte Masse, letztlich als unbekanntes Wesen adressiert werden.
Im Kontrast zu den nur für Fachleute, Expert*innen und Mandatsträger*innen zugänglichen und verständlichen Diskursen in Gremien und Konsortien, wird mit den Reparaturcafés ein sehr inklusiver gesellschaftlicher Resonanzraum erzeugt, der niederschwellig allen offensteht, die sich „hands on“ mit Reparieren befassen wollen. Wirkmächtige Narrative unserer von Marktlogiken durchdrungenen Lebensweise werden durch diese temporären Möglichkeitsräume für Eigenarbeit durchbrochen und ausgehebelt oder zumindest hinterfragt. Reparatur-Initiativen übernehmen damit eine wichtige gesellschaftliche Funktion: Sie schaffen ein Gegengewicht zum Bild vom abhängigen Verbraucher*innen, der stets nach Innovation und Konsum lechzt. Sie zeigen, dass Reparieren möglich und Reparatur gewollt ist.
Im Reparaturcafé wird niemand weggeschickt, weil sich das Reparieren eines Produktes vermeintlich nicht mehr lohnen würde. Es treffen hier keine Kund*innen auf Dienstleister*innen, die abwägen, ob eine Reparatur sich wirtschaftlich rechnet. Zeit wird beim Reparaturcafé nicht in Geld umgerechnet und der Wert eines Gegenstandes nicht auf seinen rein materiellen Wert reduziert. Egal ob Wasserkocher, Toaster oder Fön, Hosenrock, Rasenmäher, Hocker, DVD-Player, Fahrrad oder Smartphone. Menschen mit Reparaturkenntnissen und -fertigkeiten helfen anderen in ihrer Freizeit und freiwillig, ehrenamtlich und ohne kommerzielle Interessen dabei, ihre kaputten Alltagsgegenstände wieder flott zu kriegen. Und das quer durch alle Produktarten und -kategorien hindurch, die die Besucher*innen selbständig zu den Veranstaltungen hinbringen und anschließend auch wieder mit nach Hause nehmen können. Sich bei Kaffee und Kuchen über die persönlichen Geschichten zu den angebrachten Gegenständen und die Motive für ihre Reparatur zu unterhalten, ist dabei genauso wichtig, wie gemeinsam zu fachsimpeln, sich beim Akt des Reparierens zu helfen und zu allerlei Alltagsfragen gegenseitig zu beraten und auszutauschen.
Die Akteure engagieren sich, weil ihnen Reparieren Spaß macht und sie mit anderen zusammen Nachbarschaftshilfe leisten wollen. Die Veranstaltungen finden in Gemeindezentren, Vereinsheimen, Mehrgenerationenhäusern, Bürgerzentren und anderen, niederschwellig zugänglichen, (halb-)öffentlichen Räumen statt, die dafür temporär umgenutzt werden. Je nach lokalen Bedingungen gibt es dann einen oder mehrere Tische, die mit Werkzeugen und Materialien ausgestattet zu Reparaturstationen für unterschiedliche Bereiche werden. Oft bringen die Reparateure ihre privaten Werkzeuge und Materialien mit. Spezielle oder professionell ausgestattete Werkstätten sind nicht zwingend erforderlich, auch müssen keine großen Investitionen getätigt werden, um eine Initiative starten zu können. Idee und Konzept sind einfach und klar verständlich, die damit verbundenen organisatorischen Aufgaben leicht zu adaptieren und unaufwändig umsetzbar. Umfangreiche Informationen, Praxishilfen und Vorlagen für Formulare und ähnliches gibt es kostenlos und frei verfügbar im Internet (1). Nicht im diskursiven Raum oder in der Abwägung von Zuständigkeiten und Befugnissen entscheidet sich, ob etwas repariert werden kann, sondern vor Ort und am konkreten Objekt.
Seit weit über zehn Jahren werden diese Angebote nachgefragt und immer größer wird die Zahl der Initiativen, die das Format Reparaturcafé lokal anbieten. Reparieren wird zu einer sichtbaren, öffentlichen Angelegenheit, statt Gegenstand einer speziell eingeweihten Berufsgruppe zu bleiben, deren Dienste ohnehin immer seltener in Anspruch genommen werden können, weil sie auszusterben droht. Dies kann sowohl als Bestätigung für das Format an sich gelesen werden, als auch als seine Legitimation. Ein real existierendes, gesellschaftliches Bedürfnis scheint hier Befriedigung zu finden. Die Leute wollen ihren Kram reparieren und andere wiederum wollen gerne kostenfrei dabei helfen. Nachfrage und Angebot finden sich hier. Dabei hat sich das Konzept nicht sehr verändert oder erweitert. Es scheint fertig, richtig und gut zu sein, so wie es ist. Mit erstaunlicher Beharrlichkeit also scheint es für viele Reparaturangelegenheiten keine Alternativen zu den nicht-kommerziellen Reparatur-Initiativen zu geben, von denen es mittlerweile allein in Deutschland über eintausend gibt (2). Wie kann es sein, dass das Format so erfolgreich ist? Ist das ein Grund zur Freude, oder eher zur Besorgnis? Sollte es solche Initiativen überhaupt geben (müssen/dürfen)? Was sagt uns das über unsere Gesellschaft und welche Wirklichkeitsannahmen werden dadurch in Frage gestellt?
"Ein real existierendes, gesellschaftliches Bedürfnis scheint hier Befriedigung zu finden. Die Leute wollen ihren Kram reparieren und andere wiederum wollen gerne kostenfrei dabei helfen."
Die Persistenz und die wachsende Verbreitung der Reparaturcafés in Deutschland laden zum Realitycheck und zur Erdung für verschiedene Themen und Fragestellungen ein. Weil die zivilgesellschaftliche Reparierbewegung eben kein Strohfeuer war und ist, konnte beispielsweise die Behauptung wissenschaftlich entkräftet werden, Repaircafés würden dem reparierenden Handwerk die Aufträge wegnehmen. In der Anfang 2019 veröffentlichten Studie des Umweltbundesamtes wird ganz gegenteilig hervorgehoben, welche Gemeinsamkeiten es gibt und welche Synergien sich aus potenzieller Zusammenarbeit ergeben können (3). Der Leitfaden zur Förderung der Zusammenarbeit von Handwerksbetrieben und Reparatur-Initiativen, der Ende 2021 vom Institut für Betriebsführung des DHI e.V. und anderen Mitwirkenden veröffentlicht wurde, greift diese Perspektive auf. Nicht-kommerziell agierende Reparatur-Initiativen wirken als Korrektiv bei der Problemwahrnehmung und -verortung.
Auch die vielfach vorgebrachte Unterstellung von Inkompetenz der „Amateure“, lässt sich entkräften (4). Die Reparateure im Reparaturcafé sind überwiegend gar keine Laien und ganz gewiss keine Pfuscher. Oft stammen fachliches Know-how und langjährige Erfahrung aus beruflichem Kontext. Nur bringen die Akteur*innen es während der Reparatur-Veranstaltungen eben als ehrenamtlich Mitwirkende ein. Auch die Hobby-Reparateure bringen oft enorme Fertigkeiten ein, denn im nicht-kommerziellen Rahmen zählen faktische Kompetenzen mehr als etwaige berufliche Qualifizierungsnachweise. Ist Monetarisierbarkeit von Wissen und Können gleichzusetzen mit deren Wert?
„Könnerschaft erwächst aus dem Handeln. Wissen ist ein Teil und Voraussetzung von Können. Können ist eine praktische Form des Wissens." (5)
Reparieren ist möglich. Sowohl auf der dinglich-materiellen, als auch auf der sozial-praktischen Ebene. Repariert wird jetzt und repariert wird alles. Mit Hingabe und Ausdauer. Egal ob reparaturfreundlich designt und relevante Informationen offen zugänglich und Ersatzteile erhältlich sind, oder billige Massenware. Und das mit erstaunlich hoher Erfolgsquote.
Sich zwei Stunden mit dem Öffnen eines Gerätegehäuses beschäftigen, stundenlang im Internet nach dem richtigen Thread im tausendsten Forum suchen oder Videoanleitungen bei Youtube durchstöbern, ist für Handwerker, die von bezahlter Reparaturarbeit leben und Effizienzzwang unterliegen, eher schwierig. Gewerblich Reparierende werden oft durch die herstellende Industrie dazu gezwungen nicht auf Board- und Einzelteil-Ebene zu reparieren, sondern pauschal Baugruppen zu tauschen und viele andere Hürden mehr. So zutreffend viele der Befunde und der Kritik an sinkender Qualität und generell abnehmender Reparierbarkeit von Produkten sind, so wird doch deutlich, dass dies in erster Linie im wirtschaftlichen Bereich zum Befund „Unreparierbarkeit“ führt.
Oft sind die Besitzer überrascht, dass das Kaputtgeglaubte einfach nur verdreckt war, oder nur ein marginaler Handgriff für die Wiederbelebung nötig gewesen ist. Ein verschmutzter Kontakt, ein lockeres Kabel, ein verklemmter Lüfter und andere Minimalursachen sind neben Bedienfehlern und fehlender Wartung und Pflege häufig die Ursache für vermeintliche Defekte. Im Reparaturcafé lernen die Teilnehmenden ihre Gebrauchsgüter besser zu verstehen und sorgsamer mit ihnen umzugehen. Selber Hand anlegen und dabei sein, wenn sich die Black Box öffnet, mindert die Scheu vor Technik und Reparaturangängen. Hier kann Selbstwirksamkeit bewusst erfahren werden und so die Erkenntnis wachsen, dass sogar ein Laie vieles wieder heil machen kann. Selbst wenn ein Reparaturversuch nicht gelingen sollte, so verlassen die Besucher*innen die Veranstaltungen als informierte, aufgeklärtere, klügere Konsument*innen. Der Erzählung von der Unreparierbarkeit der Dinge und dem hilflosen Ausgeliefertsein stimmt also nur bedingt.
Im Reparaturcafé lernen die Teilnehmenden ihre Gebrauchsgüter besser zu verstehen und sorgsamer mit ihnen umzugehen. Selber Hand anlegen und dabei sein, wenn sich die Black Box öffnet, mindert die Scheu vor Technik und Reparaturangängen.
Wer wird mit den verschiedenen Forderungen aus dem Katalog der Fürsprecher für ein Recht auf herstellerunabhängige Reparatur denn eigentlich konkret angesprochen und für wen sollten sie Gültigkeit erlangen? Eine Frage, die durch die nimmermüde Präsenz der Reparaturcafés leichter zu beantworten ist, als ohne. Es verhält sich wie mit der Forderung nach Barrierefreiheit. Barrierefreiheit ist nur für wenige unabdingbar für gesellschaftliche Teilhabe und ein würdevolles, gutes Leben. Beispielsweise abgesenkte Bordsteine oder funktionierende Aufzüge, statt ausschließlich Treppen im ÖPNV für Rollstuhlfahrende. Angenehm und entlastend ist Barrierefreiheit aber für sehr viel mehr Menschen. Beispielsweise solche, die Kinderwagen schieben oder Senior*innen, die nicht mehr so stabil auf den Beinen sind. Für niemanden sind abgesenkte Bordsteine oder funktionierende Aufzüge ein Ärger- oder Hindernis, nur weil sie existieren, aber persönlich nicht gebraucht werden.
Mit diskriminierungsfreiem Zugang zu Ersatzteilen und reparaturrelevanten Informationen, Anleitungen und Tutorials, zu Diagnosesoftware und Updates und anderen Forderungen nach einem Recht auf herstellerunabhängige Reparatur, verhält es sich vergleichbar. Recht auf Reparatur besagt primär, dass jede*r frei entscheiden können soll, ob er/sie selber und zu Hause reparieren möchte, im Reparaturcafé mit anderen zusammen, oder Dienste eines gewerblichen Anbieters auf dem freien Markt oder den Service des Herstellers in Anspruch nehmen möchte.
Reparaturcafés erinnern und mahnen in einem sehr konkreten Bereich, dass die vielschichtigen Entscheidungsgrund- und Vorlagen an „mündigen Bürger*innen“ ausgerichtet werden müssen, ohne die eine Gesellschaft im Wandel und im Gegenlicht dramatischer Herausforderungen wie Klimawandel, Umweltzerstörung, Krieg und Krisen kaum langfristig Resilienz entwickeln kann. Im Reparaturcafé wird Reparieren als Kulturtechnik bewahrt, praktiziert, gepflegt und weitergegeben. In einer Konsum- und Wegwerf-Wirtschaft ist Reparieren ein rebellischer Akt. Womöglich artikuliert sich in der Repaircafé-Bewegung, die zu guten Teilen auf den Schultern der älteren Generation ruht, eine sanfte Form des Protestes? Eine herzliche Einladung zu Widerständigkeit und Engagement, auch für Menschen ohne Aktivismus-Biografie und -Selbstverständnis? Bei der Eröffnung der jüngsten Sonderausstellung des Deutschen Technikmuseums „Reparieren“ (6) in Berlin bemühte der Museumsleiter in seiner Rede einen gewagten, aktuellen und politischen Bezug.
Die Aussage: „Die einen reparieren, die anderen kleben sich an Kunstwerken fest. Beide rücken die Bedeutung von Kultur in den Vordergrund.“
Darin liegt ein spezieller Wert der Reparatur im Repaircafé. Es entstehen Freiräume, in denen sich Menschen aus freien Stücken letztlich auch mit ihren eigenen Konsum- und Verhaltensmustern befassen können. Daraus entsteht eine Kultur der Gemeinsamkeit, die weit über den Akt des Reparierens hinausreicht – es geht nicht nur um das Kümmern um das Ding, sondern um das Kümmern umeinander. In gegen äußere Vereinnahmung und Umdeutung imprägnierten, gesellschaftlichen Schutzräumen kann sich so eine neue soziale Praxis entfalten. Real verändertes, enkeltauglicheres Alltagshandeln im Kleinen und damit ein Baustein auf dem Weg zur großen sozioökologischen Transformation.
https://www.reparatur-initiativen.de/seite/initiative-gruenden
1.014 eigetragene Initiativen; Stand 21.02.2023 https://www.reparatur-initiativen.de/orte
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/handwerk-reparatur-oekonomische-bedeutung
Vgl. Darlegung in der Stellungnahme des Runden Tisch Reparatur zur Schadensstatik: https://runder-tisch-reparatur.de/register/
Ax, Christine: Die Könnensgesellschaft. Mit guter Arbeit aus der Krise. Berlin: Rhombos, 2009 (S. 34)
Jahrgang 1976, hat an der LMU München und der FU Berlin Soziologie studiert. Als Mitbegründer der sozialen Unternehmung RÜTLI-WEAR und der offenen Siebdruckwerkstatt SDW-NEUKÖLLN entdeckte Tom Hansing die Leidenschaft für DIY-Kulturen. Er ist seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter der gemeinnützigen Stiftung anstiftung aus München im Bereich Offene Werkstätten und Reparatur-Initiativen. Seine Schwerpunkte sind Projektberatung und -entwicklung, Vernetzung und Praxistransfer.
Mit-Herausgeber des Buches „Die Welt reparieren - Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis“
Broschüre „REPARIEREN – Projekte, Orte und Akteure einer Bewegung“ (2. Auflage als PDF)
Das Reparaturcafé ist eine zivilgesellschaftliche Notwehr-Reaktion auf Markt- und Staatsversagen. Es ist ein Ort, an dem ich Selbstwirksamkeit erfahren und Marktlogiken aushebeln kann und sollte als Korrektiv und Leitplanke für Politik und Wirtschaft dienen.
Während die Notwendigkeit, Möglichkeiten und Grenzen, Inhalte, Ausgestaltung und Reichweite eines Rechts auf Reparatur von unterschiedlichsten Stakeholdern aus Wissenschaft und Forschung, Wirtschaft, Industrie und Handel, Politik, Verwaltung und NGOs vielstimmig und kontrovers diskutiert und verhandelt wird, nehmen sich Menschen in zivilgesellschaftlich erzeugten Gelegenheitsstrukturen ein solches Recht bereits und üben es aus und ein. Sie kümmern sich selbst gemeinschaftlich um ihre Reparaturbelange, statt abzuwarten, ob und wie diese Bedürfnisse von Markt und Staat aufgegriffen, beurteilt und geregelt werden. Diese Interessengruppe sind jene Bürgerinnen und Bürger, die als Konsument*innen und Verbraucher*innen oft nur als aggregierte Größe und abstrahierte Masse, letztlich als unbekanntes Wesen adressiert werden.
Im Kontrast zu den nur für Fachleute, Expert*innen und Mandatsträger*innen zugänglichen und verständlichen Diskursen in Gremien und Konsortien, wird mit den Reparaturcafés ein sehr inklusiver gesellschaftlicher Resonanzraum erzeugt, der niederschwellig allen offensteht, die sich „hands on“ mit Reparieren befassen wollen. Wirkmächtige Narrative unserer von Marktlogiken durchdrungenen Lebensweise werden durch diese temporären Möglichkeitsräume für Eigenarbeit durchbrochen und ausgehebelt oder zumindest hinterfragt. Reparatur-Initiativen übernehmen damit eine wichtige gesellschaftliche Funktion: Sie schaffen ein Gegengewicht zum Bild vom abhängigen Verbraucher*innen, der stets nach Innovation und Konsum lechzt. Sie zeigen, dass Reparieren möglich und Reparatur gewollt ist.
Im Reparaturcafé wird niemand weggeschickt, weil sich das Reparieren eines Produktes vermeintlich nicht mehr lohnen würde. Es treffen hier keine Kund*innen auf Dienstleister*innen, die abwägen, ob eine Reparatur sich wirtschaftlich rechnet. Zeit wird beim Reparaturcafé nicht in Geld umgerechnet und der Wert eines Gegenstandes nicht auf seinen rein materiellen Wert reduziert. Egal ob Wasserkocher, Toaster oder Fön, Hosenrock, Rasenmäher, Hocker, DVD-Player, Fahrrad oder Smartphone. Menschen mit Reparaturkenntnissen und -fertigkeiten helfen anderen in ihrer Freizeit und freiwillig, ehrenamtlich und ohne kommerzielle Interessen dabei, ihre kaputten Alltagsgegenstände wieder flott zu kriegen. Und das quer durch alle Produktarten und -kategorien hindurch, die die Besucher*innen selbständig zu den Veranstaltungen hinbringen und anschließend auch wieder mit nach Hause nehmen können. Sich bei Kaffee und Kuchen über die persönlichen Geschichten zu den angebrachten Gegenständen und die Motive für ihre Reparatur zu unterhalten, ist dabei genauso wichtig, wie gemeinsam zu fachsimpeln, sich beim Akt des Reparierens zu helfen und zu allerlei Alltagsfragen gegenseitig zu beraten und auszutauschen.
Die Akteure engagieren sich, weil ihnen Reparieren Spaß macht und sie mit anderen zusammen Nachbarschaftshilfe leisten wollen. Die Veranstaltungen finden in Gemeindezentren, Vereinsheimen, Mehrgenerationenhäusern, Bürgerzentren und anderen, niederschwellig zugänglichen, (halb-)öffentlichen Räumen statt, die dafür temporär umgenutzt werden. Je nach lokalen Bedingungen gibt es dann einen oder mehrere Tische, die mit Werkzeugen und Materialien ausgestattet zu Reparaturstationen für unterschiedliche Bereiche werden. Oft bringen die Reparateure ihre privaten Werkzeuge und Materialien mit. Spezielle oder professionell ausgestattete Werkstätten sind nicht zwingend erforderlich, auch müssen keine großen Investitionen getätigt werden, um eine Initiative starten zu können. Idee und Konzept sind einfach und klar verständlich, die damit verbundenen organisatorischen Aufgaben leicht zu adaptieren und unaufwändig umsetzbar. Umfangreiche Informationen, Praxishilfen und Vorlagen für Formulare und ähnliches gibt es kostenlos und frei verfügbar im Internet (1). Nicht im diskursiven Raum oder in der Abwägung von Zuständigkeiten und Befugnissen entscheidet sich, ob etwas repariert werden kann, sondern vor Ort und am konkreten Objekt.
Seit weit über zehn Jahren werden diese Angebote nachgefragt und immer größer wird die Zahl der Initiativen, die das Format Reparaturcafé lokal anbieten. Reparieren wird zu einer sichtbaren, öffentlichen Angelegenheit, statt Gegenstand einer speziell eingeweihten Berufsgruppe zu bleiben, deren Dienste ohnehin immer seltener in Anspruch genommen werden können, weil sie auszusterben droht. Dies kann sowohl als Bestätigung für das Format an sich gelesen werden, als auch als seine Legitimation. Ein real existierendes, gesellschaftliches Bedürfnis scheint hier Befriedigung zu finden. Die Leute wollen ihren Kram reparieren und andere wiederum wollen gerne kostenfrei dabei helfen. Nachfrage und Angebot finden sich hier. Dabei hat sich das Konzept nicht sehr verändert oder erweitert. Es scheint fertig, richtig und gut zu sein, so wie es ist. Mit erstaunlicher Beharrlichkeit also scheint es für viele Reparaturangelegenheiten keine Alternativen zu den nicht-kommerziellen Reparatur-Initiativen zu geben, von denen es mittlerweile allein in Deutschland über eintausend gibt (2). Wie kann es sein, dass das Format so erfolgreich ist? Ist das ein Grund zur Freude, oder eher zur Besorgnis? Sollte es solche Initiativen überhaupt geben (müssen/dürfen)? Was sagt uns das über unsere Gesellschaft und welche Wirklichkeitsannahmen werden dadurch in Frage gestellt?
"Ein real existierendes, gesellschaftliches Bedürfnis scheint hier Befriedigung zu finden. Die Leute wollen ihren Kram reparieren und andere wiederum wollen gerne kostenfrei dabei helfen."
Die Persistenz und die wachsende Verbreitung der Reparaturcafés in Deutschland laden zum Realitycheck und zur Erdung für verschiedene Themen und Fragestellungen ein. Weil die zivilgesellschaftliche Reparierbewegung eben kein Strohfeuer war und ist, konnte beispielsweise die Behauptung wissenschaftlich entkräftet werden, Repaircafés würden dem reparierenden Handwerk die Aufträge wegnehmen. In der Anfang 2019 veröffentlichten Studie des Umweltbundesamtes wird ganz gegenteilig hervorgehoben, welche Gemeinsamkeiten es gibt und welche Synergien sich aus potenzieller Zusammenarbeit ergeben können (3). Der Leitfaden zur Förderung der Zusammenarbeit von Handwerksbetrieben und Reparatur-Initiativen, der Ende 2021 vom Institut für Betriebsführung des DHI e.V. und anderen Mitwirkenden veröffentlicht wurde, greift diese Perspektive auf. Nicht-kommerziell agierende Reparatur-Initiativen wirken als Korrektiv bei der Problemwahrnehmung und -verortung.
Auch die vielfach vorgebrachte Unterstellung von Inkompetenz der „Amateure“, lässt sich entkräften (4). Die Reparateure im Reparaturcafé sind überwiegend gar keine Laien und ganz gewiss keine Pfuscher. Oft stammen fachliches Know-how und langjährige Erfahrung aus beruflichem Kontext. Nur bringen die Akteur*innen es während der Reparatur-Veranstaltungen eben als ehrenamtlich Mitwirkende ein. Auch die Hobby-Reparateure bringen oft enorme Fertigkeiten ein, denn im nicht-kommerziellen Rahmen zählen faktische Kompetenzen mehr als etwaige berufliche Qualifizierungsnachweise. Ist Monetarisierbarkeit von Wissen und Können gleichzusetzen mit deren Wert?
„Könnerschaft erwächst aus dem Handeln. Wissen ist ein Teil und Voraussetzung von Können. Können ist eine praktische Form des Wissens." (5)
Reparieren ist möglich. Sowohl auf der dinglich-materiellen, als auch auf der sozial-praktischen Ebene. Repariert wird jetzt und repariert wird alles. Mit Hingabe und Ausdauer. Egal ob reparaturfreundlich designt und relevante Informationen offen zugänglich und Ersatzteile erhältlich sind, oder billige Massenware. Und das mit erstaunlich hoher Erfolgsquote.
Sich zwei Stunden mit dem Öffnen eines Gerätegehäuses beschäftigen, stundenlang im Internet nach dem richtigen Thread im tausendsten Forum suchen oder Videoanleitungen bei Youtube durchstöbern, ist für Handwerker, die von bezahlter Reparaturarbeit leben und Effizienzzwang unterliegen, eher schwierig. Gewerblich Reparierende werden oft durch die herstellende Industrie dazu gezwungen nicht auf Board- und Einzelteil-Ebene zu reparieren, sondern pauschal Baugruppen zu tauschen und viele andere Hürden mehr. So zutreffend viele der Befunde und der Kritik an sinkender Qualität und generell abnehmender Reparierbarkeit von Produkten sind, so wird doch deutlich, dass dies in erster Linie im wirtschaftlichen Bereich zum Befund „Unreparierbarkeit“ führt.
Oft sind die Besitzer überrascht, dass das Kaputtgeglaubte einfach nur verdreckt war, oder nur ein marginaler Handgriff für die Wiederbelebung nötig gewesen ist. Ein verschmutzter Kontakt, ein lockeres Kabel, ein verklemmter Lüfter und andere Minimalursachen sind neben Bedienfehlern und fehlender Wartung und Pflege häufig die Ursache für vermeintliche Defekte. Im Reparaturcafé lernen die Teilnehmenden ihre Gebrauchsgüter besser zu verstehen und sorgsamer mit ihnen umzugehen. Selber Hand anlegen und dabei sein, wenn sich die Black Box öffnet, mindert die Scheu vor Technik und Reparaturangängen. Hier kann Selbstwirksamkeit bewusst erfahren werden und so die Erkenntnis wachsen, dass sogar ein Laie vieles wieder heil machen kann. Selbst wenn ein Reparaturversuch nicht gelingen sollte, so verlassen die Besucher*innen die Veranstaltungen als informierte, aufgeklärtere, klügere Konsument*innen. Der Erzählung von der Unreparierbarkeit der Dinge und dem hilflosen Ausgeliefertsein stimmt also nur bedingt.
Im Reparaturcafé lernen die Teilnehmenden ihre Gebrauchsgüter besser zu verstehen und sorgsamer mit ihnen umzugehen. Selber Hand anlegen und dabei sein, wenn sich die Black Box öffnet, mindert die Scheu vor Technik und Reparaturangängen.
Wer wird mit den verschiedenen Forderungen aus dem Katalog der Fürsprecher für ein Recht auf herstellerunabhängige Reparatur denn eigentlich konkret angesprochen und für wen sollten sie Gültigkeit erlangen? Eine Frage, die durch die nimmermüde Präsenz der Reparaturcafés leichter zu beantworten ist, als ohne. Es verhält sich wie mit der Forderung nach Barrierefreiheit. Barrierefreiheit ist nur für wenige unabdingbar für gesellschaftliche Teilhabe und ein würdevolles, gutes Leben. Beispielsweise abgesenkte Bordsteine oder funktionierende Aufzüge, statt ausschließlich Treppen im ÖPNV für Rollstuhlfahrende. Angenehm und entlastend ist Barrierefreiheit aber für sehr viel mehr Menschen. Beispielsweise solche, die Kinderwagen schieben oder Senior*innen, die nicht mehr so stabil auf den Beinen sind. Für niemanden sind abgesenkte Bordsteine oder funktionierende Aufzüge ein Ärger- oder Hindernis, nur weil sie existieren, aber persönlich nicht gebraucht werden.
Mit diskriminierungsfreiem Zugang zu Ersatzteilen und reparaturrelevanten Informationen, Anleitungen und Tutorials, zu Diagnosesoftware und Updates und anderen Forderungen nach einem Recht auf herstellerunabhängige Reparatur, verhält es sich vergleichbar. Recht auf Reparatur besagt primär, dass jede*r frei entscheiden können soll, ob er/sie selber und zu Hause reparieren möchte, im Reparaturcafé mit anderen zusammen, oder Dienste eines gewerblichen Anbieters auf dem freien Markt oder den Service des Herstellers in Anspruch nehmen möchte.
Reparaturcafés erinnern und mahnen in einem sehr konkreten Bereich, dass die vielschichtigen Entscheidungsgrund- und Vorlagen an „mündigen Bürger*innen“ ausgerichtet werden müssen, ohne die eine Gesellschaft im Wandel und im Gegenlicht dramatischer Herausforderungen wie Klimawandel, Umweltzerstörung, Krieg und Krisen kaum langfristig Resilienz entwickeln kann. Im Reparaturcafé wird Reparieren als Kulturtechnik bewahrt, praktiziert, gepflegt und weitergegeben. In einer Konsum- und Wegwerf-Wirtschaft ist Reparieren ein rebellischer Akt. Womöglich artikuliert sich in der Repaircafé-Bewegung, die zu guten Teilen auf den Schultern der älteren Generation ruht, eine sanfte Form des Protestes? Eine herzliche Einladung zu Widerständigkeit und Engagement, auch für Menschen ohne Aktivismus-Biografie und -Selbstverständnis? Bei der Eröffnung der jüngsten Sonderausstellung des Deutschen Technikmuseums „Reparieren“ (6) in Berlin bemühte der Museumsleiter in seiner Rede einen gewagten, aktuellen und politischen Bezug.
Die Aussage: „Die einen reparieren, die anderen kleben sich an Kunstwerken fest. Beide rücken die Bedeutung von Kultur in den Vordergrund.“
Darin liegt ein spezieller Wert der Reparatur im Repaircafé. Es entstehen Freiräume, in denen sich Menschen aus freien Stücken letztlich auch mit ihren eigenen Konsum- und Verhaltensmustern befassen können. Daraus entsteht eine Kultur der Gemeinsamkeit, die weit über den Akt des Reparierens hinausreicht – es geht nicht nur um das Kümmern um das Ding, sondern um das Kümmern umeinander. In gegen äußere Vereinnahmung und Umdeutung imprägnierten, gesellschaftlichen Schutzräumen kann sich so eine neue soziale Praxis entfalten. Real verändertes, enkeltauglicheres Alltagshandeln im Kleinen und damit ein Baustein auf dem Weg zur großen sozioökologischen Transformation.
https://www.reparatur-initiativen.de/seite/initiative-gruenden
1.014 eigetragene Initiativen; Stand 21.02.2023 https://www.reparatur-initiativen.de/orte
https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/handwerk-reparatur-oekonomische-bedeutung
Vgl. Darlegung in der Stellungnahme des Runden Tisch Reparatur zur Schadensstatik: https://runder-tisch-reparatur.de/register/
Ax, Christine: Die Könnensgesellschaft. Mit guter Arbeit aus der Krise. Berlin: Rhombos, 2009 (S. 34)
Jahrgang 1976, hat an der LMU München und der FU Berlin Soziologie studiert. Als Mitbegründer der sozialen Unternehmung RÜTLI-WEAR und der offenen Siebdruckwerkstatt SDW-NEUKÖLLN entdeckte Tom Hansing die Leidenschaft für DIY-Kulturen. Er ist seit 2010 wissenschaftlicher Mitarbeiter der gemeinnützigen Stiftung anstiftung aus München im Bereich Offene Werkstätten und Reparatur-Initiativen. Seine Schwerpunkte sind Projektberatung und -entwicklung, Vernetzung und Praxistransfer.
Mit-Herausgeber des Buches „Die Welt reparieren - Open Source und Selbermachen als postkapitalistische Praxis“
Broschüre „REPARIEREN – Projekte, Orte und Akteure einer Bewegung“ (2. Auflage als PDF)
Dieses Projekt wurde gefördert durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.
Dieses Projekt wurde gefördert durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.