Über den Wert der Reparatur und diese Kampagne
Die Kampagne „Wert der Reparatur“ verdeutlicht anschaulich, welche Rolle die Reparatur in unserer Gesellschaft spielt. Damit stellt sie gleichzeitig dar, warum reparaturfördernde Maßnahmen und die Umsetzung eines universellen Recht auf Reparatur notwendig sind, um nachhaltiger mit unseren Ressourcen umzugehen und das Potential der Reparatur für lokale Wirtschaftsförderung, die Schaffung sozialer Räume und der Förderung technischer Mündigkeit in der Gesellschaft zu nutzen.Die Beiträge auf dieser Webseite stammen größtenteils von Mitgliedern des Netzwerks Runder Tisch Reparatur. Der Runde Tisch Reparatur vereint viele verschiedene Akteure aus Handwerk, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Wirtschaft, die sich für ein Recht auf Reparatur einsetzen. Die Diversität der verschiedenen Beiträge und Akteure macht deutlich: Das Reparieren berührt und begegnet uns im Alltag auf vielfältige Weise, manchmal unbemerkt, manchmal sehr sichtbar, manchmal voller Frustration und manchmal voller Stolz. Es wird außerdem klar, dass die Reparatur ein wichtiger und oft unterschätzter Bestandteil unserer Wirtschaft ist und vieles zusammenhält.
> Mehr über den Runden Tisch Reparatur erfahrenReparieren lernen heißt, viele verschiedene Kompetenzen zu lernen. Deshalb sollten Schulen und andere Bildungsangebote mehr Erfahrungen mit Reparaturen ermöglichen. Eine Schule in München zeigt, wie es gehen kann.
Jahrtausendelang war es überhaupt keine Frage, ob ein defekter Gegenstand repariert wird - es gab schlicht nicht die Möglichkeit, ihn wegzuwerfen und einfach einen neuen zu kaufen. Reparieren zu lernen gehörte zur menschheitlichen Alltagspraxis, in die man hineinwuchs.
Da Kinder und Jugendliche heute im privaten Bereich kaum mehr Erfahrung mit Reparieren machen können, ist es zu einer Bildungsaufgabe für Schulen und außerschulische Einrichtungen geworden, ihnen diese grundlegende Kulturtechnik nahezubringen. Diese Aufgabe resultiert zum einen daraus, dass Reparieren einen wichtigen Beitrag zu nachhaltigem Handeln, zu Ressourcenschonung und Abfallvermeidung leistet. Weit darüber hinaus jedoch bietet Reparieren ein Lern- und Bildungsfeld, das wesentliche Schlüsselerfahrungen und eine umfassende Kompetenzentwicklung ermöglicht.
Kompetenzen kann man also nicht lehren, sondern nur selbst im Tun entwickeln. Man spricht hier vom „pädagogischen Paradox"
Wenn Reparieren in formelle (z.B. Schulen) bzw. non-formale (z.B. Kurse) Bildungskontexte integriert wird, stehen pädagogische Aspekte des Lernens durch Reparieren im Vordergrund. Hier kommt es vor allem darauf an, den Prozess des Reparierens lernförderlich zu gestalten. Ergebnis ist dann nicht nur ein reparierter Gegenstand, sondern zugleich wird eine breite Kompetenzentwicklung erreicht, die befähigt für „die Bewältigung von Anforderungen und Situationen, die im besonderen Maße ein nicht routinemäßiges Handeln und Problemlösen erfordern.“ [1]
Indem Schulen und außerschulische Bildungsangebote sich für Reparieren als Lernfeld öffnen, bieten sie Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten, die das übliche schulische Lernen entscheidend erweitern. Denn beim schulischen Lernen wird „fertiges Wissen“ geboten, das außerhalb der eigenen Erfahrung der Lernenden entstand. Aber bloßes vermitteltes Wissen erzeugt noch keine Kompetenz. Der Weg dorthin führt ausschließlich über eigenes Handeln, er braucht die Möglichkeit, komplexe Probleme eigenständig lösen zu müssen.
Kompetenzen kann man also nicht lehren, sondern nur selbst im Tun entwickeln. Man spricht hier vom „pädagogischen Paradox“: Ich lerne etwas zu tun, indem ich etwas tue, was ich noch nicht kann, und entwickle dabei genau die Kompetenzen, die ich für die Bewältigung der Anforderung brauche. Ein Beispiel aus dem Alltag: Fahrrad fahren lernt man nicht durch die Lektüre eines noch so guten Buchs, sondern man muss sich aufs Rad schwingen und so lange üben, bis man es kann, also die „Kompetenz, Rad zu fahren“ erworben hat, die nicht nur die Technik des Radelns, sondern auch das sichere Sich-Bewegen im Straßenverkehr, umsichtiges Verhalten anderen gegenüber usw. einschließt.
Der Prozess des Reparierens macht deutlich, warum Reparieren in Bildungskontexten für die Kompetenzentwicklung ein besonders gut geeignetes Feld darstellt: Meist ist nicht klar, worin der Defekt eines Gegenstandes genau besteht, man muss sich also auf die Suche nach möglichen Fehlerquellen machen und dabei sämtliche Wahrnehmungsmöglichkeiten nutzen, sich an Vorerfahrungen erinnern, schulische Kenntnisse aktivieren, sich mit anderen beraten, eventuell das Internet zu Rate ziehen. Und auch wenn die Fehlersuche ein Ergebnis erbrachte, ist damit noch lange nicht eindeutig klar, ob und wie die Reparatur gelingen kann. Auch hier muss man sich wieder auf die Suche begeben, verschiedene Möglichkeiten ausprobieren und wahrnehmen, wie der defekte Gegenstand darauf reagiert.
Auf diesen Such-Wegen erfahren die Lernenden nicht nur viel über einen einzelnen Gegenstand und wie man ihn erfolgreich reparieren kann. Zugleich entwickeln sie Fähigkeiten und Haltungen, die auch auf andere Fälle übertragbar sind – sie bauen Kompetenzen auf wie: Lebenspraktische Fähigkeiten nachhaltigen Handelns, methodisches Arbeiten, differenzierte Wahrnehmung und Gefühl für die Sache, persönliche Kompetenzen wie Selbstständigkeit, Konzentrations- und Durchhaltevermögen, Mut, sich auf Unbekanntes einzulassen. Und sie erleben Selbstwirksamkeit, d.h. ihre Fähigkeit, auch schwierige Herausforderungen aus eigener Kraft bewältigen zu können.
In der seit April 2016 kontinuierlich arbeitenden weltweit ersten Schüler-Reparaturwerkstatt an der Rudolf-Steiner-Schule in München wurde modellhaft ein pädagogisches Konzept für die Umsetzung von Kompetenzlernen durch Reparieren in der Schule entwickelt und verbreitet. [2] Es setzt auf eine entdeckende, erfahrungsgeleitete Methodik mit folgenden Merkmalen:
Im Modell der Schule stellt Reparieren einen Bestandteil des regulären Unterrichtsangebots für die Klassen sechs bis elf dar. Über dieses Modell hinaus gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Reparatur-Bildung zu ermöglichen. Beispiele sind Projekttage an Schulen, Reparaturkurse in außerschulischen Bildungseinrichtungen, Angebote in Zusammenarbeit mit Handwerksbetrieben und Repair Cafés, spezifische Workshops zur Reparatur von Fahrrädern, Smartphones etc. (vgl. RETIBNE [3]), das Modell Repair Kids, und vieles mehr.
Reparieren in Bildungskontexten ermöglicht über das Gesagte hinaus einen Zuwachs an Autonomie und Mündigkeit. Wolfgang M. Heckl weist darauf hin, ohne die Gelegenheit, Erfahrung mit Reparieren zu machen, „fehlt dem Menschen etwas, er begreift seine Umwelt nicht mehr. Er wird entfremdet von den Dingen, die er täglich benutzt. Die Gefahr ist, dass er dauerhaft passiv wird und bei ihm der beruhigende Gedanke vorherrscht, dass das schon jemand anderes für ihn macht und er es nur noch bezahlen muss. Wenn diese Passivität zur Routine wird, dann spricht man in der Psychologie von ‚erlernter Hilflosigkeit‘. Und das Reparieren bietet einen Ausweg aus diesem Gefühl, nichts ausrichten oder ändern zu können,“ [4] indem man durch Reparieren Strategien erlernt, sich selbst aus dieser erlernten Hilflosigkeit zu befreien und eigenständig zu handeln und auch, „achtsam zu sein gegenüber den Dingen, die ihn begleiten und umgeben, und seine Gebrauchsgegenstände zu schätzen.“ (ebd.)
Eine Sammlung an Videos und Filmbeiträgen zum Thema Reparatur und Bildung findest Du hier.
geb. 1951, gelernte Journalistin, Studium der Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1978 Diplomabschluss, langjährige Tätigkeit als Forscherin, Beraterin und Weiterbildnerin bei der Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung eG München. Seit 2016 ehrenamtlich tätig als wissenschaftliche Begleitung der Schüler-Reparaturwerkstatt an der Rudolf-Steiner-Schule München-Schwabing. Am Reparieren interessiert sie vor allem dessen pädagogische und kulturgeschichtliche Bedeutung.
Reparieren lernen heißt, viele verschiedene Kompetenzen zu lernen. Deshalb sollten Schulen und andere Bildungsangebote mehr Erfahrungen mit Reparaturen ermöglichen. Eine Schule in München zeigt, wie es gehen kann.
Jahrtausendelang war es überhaupt keine Frage, ob ein defekter Gegenstand repariert wird - es gab schlicht nicht die Möglichkeit, ihn wegzuwerfen und einfach einen neuen zu kaufen. Reparieren zu lernen gehörte zur menschheitlichen Alltagspraxis, in die man hineinwuchs.
Da Kinder und Jugendliche heute im privaten Bereich kaum mehr Erfahrung mit Reparieren machen können, ist es zu einer Bildungsaufgabe für Schulen und außerschulische Einrichtungen geworden, ihnen diese grundlegende Kulturtechnik nahezubringen. Diese Aufgabe resultiert zum einen daraus, dass Reparieren einen wichtigen Beitrag zu nachhaltigem Handeln, zu Ressourcenschonung und Abfallvermeidung leistet. Weit darüber hinaus jedoch bietet Reparieren ein Lern- und Bildungsfeld, das wesentliche Schlüsselerfahrungen und eine umfassende Kompetenzentwicklung ermöglicht.
Kompetenzen kann man also nicht lehren, sondern nur selbst im Tun entwickeln. Man spricht hier vom „pädagogischen Paradox"
Wenn Reparieren in formelle (z.B. Schulen) bzw. non-formale (z.B. Kurse) Bildungskontexte integriert wird, stehen pädagogische Aspekte des Lernens durch Reparieren im Vordergrund. Hier kommt es vor allem darauf an, den Prozess des Reparierens lernförderlich zu gestalten. Ergebnis ist dann nicht nur ein reparierter Gegenstand, sondern zugleich wird eine breite Kompetenzentwicklung erreicht, die befähigt für „die Bewältigung von Anforderungen und Situationen, die im besonderen Maße ein nicht routinemäßiges Handeln und Problemlösen erfordern.“ [1]
Indem Schulen und außerschulische Bildungsangebote sich für Reparieren als Lernfeld öffnen, bieten sie Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten, die das übliche schulische Lernen entscheidend erweitern. Denn beim schulischen Lernen wird „fertiges Wissen“ geboten, das außerhalb der eigenen Erfahrung der Lernenden entstand. Aber bloßes vermitteltes Wissen erzeugt noch keine Kompetenz. Der Weg dorthin führt ausschließlich über eigenes Handeln, er braucht die Möglichkeit, komplexe Probleme eigenständig lösen zu müssen.
Kompetenzen kann man also nicht lehren, sondern nur selbst im Tun entwickeln. Man spricht hier vom „pädagogischen Paradox“: Ich lerne etwas zu tun, indem ich etwas tue, was ich noch nicht kann, und entwickle dabei genau die Kompetenzen, die ich für die Bewältigung der Anforderung brauche. Ein Beispiel aus dem Alltag: Fahrrad fahren lernt man nicht durch die Lektüre eines noch so guten Buchs, sondern man muss sich aufs Rad schwingen und so lange üben, bis man es kann, also die „Kompetenz, Rad zu fahren“ erworben hat, die nicht nur die Technik des Radelns, sondern auch das sichere Sich-Bewegen im Straßenverkehr, umsichtiges Verhalten anderen gegenüber usw. einschließt.
Der Prozess des Reparierens macht deutlich, warum Reparieren in Bildungskontexten für die Kompetenzentwicklung ein besonders gut geeignetes Feld darstellt: Meist ist nicht klar, worin der Defekt eines Gegenstandes genau besteht, man muss sich also auf die Suche nach möglichen Fehlerquellen machen und dabei sämtliche Wahrnehmungsmöglichkeiten nutzen, sich an Vorerfahrungen erinnern, schulische Kenntnisse aktivieren, sich mit anderen beraten, eventuell das Internet zu Rate ziehen. Und auch wenn die Fehlersuche ein Ergebnis erbrachte, ist damit noch lange nicht eindeutig klar, ob und wie die Reparatur gelingen kann. Auch hier muss man sich wieder auf die Suche begeben, verschiedene Möglichkeiten ausprobieren und wahrnehmen, wie der defekte Gegenstand darauf reagiert.
Auf diesen Such-Wegen erfahren die Lernenden nicht nur viel über einen einzelnen Gegenstand und wie man ihn erfolgreich reparieren kann. Zugleich entwickeln sie Fähigkeiten und Haltungen, die auch auf andere Fälle übertragbar sind – sie bauen Kompetenzen auf wie: Lebenspraktische Fähigkeiten nachhaltigen Handelns, methodisches Arbeiten, differenzierte Wahrnehmung und Gefühl für die Sache, persönliche Kompetenzen wie Selbstständigkeit, Konzentrations- und Durchhaltevermögen, Mut, sich auf Unbekanntes einzulassen. Und sie erleben Selbstwirksamkeit, d.h. ihre Fähigkeit, auch schwierige Herausforderungen aus eigener Kraft bewältigen zu können.
In der seit April 2016 kontinuierlich arbeitenden weltweit ersten Schüler-Reparaturwerkstatt an der Rudolf-Steiner-Schule in München wurde modellhaft ein pädagogisches Konzept für die Umsetzung von Kompetenzlernen durch Reparieren in der Schule entwickelt und verbreitet. [2] Es setzt auf eine entdeckende, erfahrungsgeleitete Methodik mit folgenden Merkmalen:
Im Modell der Schule stellt Reparieren einen Bestandteil des regulären Unterrichtsangebots für die Klassen sechs bis elf dar. Über dieses Modell hinaus gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Reparatur-Bildung zu ermöglichen. Beispiele sind Projekttage an Schulen, Reparaturkurse in außerschulischen Bildungseinrichtungen, Angebote in Zusammenarbeit mit Handwerksbetrieben und Repair Cafés, spezifische Workshops zur Reparatur von Fahrrädern, Smartphones etc. (vgl. RETIBNE [3]), das Modell Repair Kids, und vieles mehr.
Reparieren in Bildungskontexten ermöglicht über das Gesagte hinaus einen Zuwachs an Autonomie und Mündigkeit. Wolfgang M. Heckl weist darauf hin, ohne die Gelegenheit, Erfahrung mit Reparieren zu machen, „fehlt dem Menschen etwas, er begreift seine Umwelt nicht mehr. Er wird entfremdet von den Dingen, die er täglich benutzt. Die Gefahr ist, dass er dauerhaft passiv wird und bei ihm der beruhigende Gedanke vorherrscht, dass das schon jemand anderes für ihn macht und er es nur noch bezahlen muss. Wenn diese Passivität zur Routine wird, dann spricht man in der Psychologie von ‚erlernter Hilflosigkeit‘. Und das Reparieren bietet einen Ausweg aus diesem Gefühl, nichts ausrichten oder ändern zu können,“ [4] indem man durch Reparieren Strategien erlernt, sich selbst aus dieser erlernten Hilflosigkeit zu befreien und eigenständig zu handeln und auch, „achtsam zu sein gegenüber den Dingen, die ihn begleiten und umgeben, und seine Gebrauchsgegenstände zu schätzen.“ (ebd.)
Eine Sammlung an Videos und Filmbeiträgen zum Thema Reparatur und Bildung findest Du hier.
geb. 1951, gelernte Journalistin, Studium der Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München, 1978 Diplomabschluss, langjährige Tätigkeit als Forscherin, Beraterin und Weiterbildnerin bei der Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung eG München. Seit 2016 ehrenamtlich tätig als wissenschaftliche Begleitung der Schüler-Reparaturwerkstatt an der Rudolf-Steiner-Schule München-Schwabing. Am Reparieren interessiert sie vor allem dessen pädagogische und kulturgeschichtliche Bedeutung.
Dieses Projekt wurde gefördert durch das Umweltbundesamt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz. Die Mittelbereitstellung erfolgt auf Beschluss des Deutschen Bundestages. Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autorinnen und Autoren.
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